In einem vorherigen Artikel (Ein Clavichord wider das Clavichord-Revival?) habe ich mich im Rahmen der Vorstellung eines Originalinstruments aus der Zeit um 1830 – 1840 bereits mit der Frage der Clavichordtradition im 19. Jahrhundert auseinandergesetzt. Nun möchte ich Ihnen – nicht ohne ein kleines Augenzwinkern - ein Clavichord vorstellen, das dieser Frage einen weiteren Aspekt hinzufügt.
Bei dem Clavichord, um das es hier geht, handelt es sich um ein Miniaturmodell, das prinzipiell für eine eingeschränkte Spielbarkeit konzipiert ist. Sehr wahrscheinlich ist es als Spielzeug, beispielsweise für ein Puppenhaus, gedacht. Zeitlich einzuordnen ist es auf Basis stilistischer Merkmale, etwa der äußeren Gestaltung mit vier Säulenbeinen und goldenen Kapitellen im Empirestil, in das erste Viertel des 19. Jahrhunderts.
Die Korpuswände und der Deckel sind aus Buchenholz gefertigt und mahagoni- bis palisanderfarben lasiert, der Deckel ist mit Textilmaterial als Scharnier angeschwänzt und trägt innen eine grüne Papierung mit einer goldfarbenen Blechborte. Die Kapitelle der vier Säulenbeine sind aus der gleichen Blechborte gefertigt. Unterboden und Resonanzboden sind aus Fichte, der unbestiftete Steg mit Kerben zur Saitenfixierung und der Stimmstock aus Buche. Der Saitenanhang ist von einem Dämpferbrett aus Ahorn überdeckt.
Die Klaviatur umfasst 9 Tasten in einer Reihenfolge, die nicht den tasteninstrumentenüblichen Schemata entspricht: Beginnend mit einer Untertaste folgt eine Obertaste, dann wieder zwei Untertasten, Obertaste, zwei Untertasten, eine Obertaste, zum Schluss eine Untertaste. Die Tastenhebel sind aus Linde gefertigt und leider nur fragmentarisch erhalten, Taste 2 und 8 fehlen komplett, bei Taste 4 der Vorderteil. Die Oberseite ist mit schwarzem Lack gestrichen, um Ebenholzbeläge zu imitieren, ein erhaltenes Obertastenklötzchen ist aus hellem Nussbaum. Die Tastenhebel haben drei Risse, einmal als Zierrille vor den Obertasten, einmal hinter den Obertasten, einmal für die Waagepunkte. Die Waagebalkenstifte aus dünnem Eisendraht stehen in gerade Linie, die hintere Führung der Tastenhebel erfolgt durch dünne Blechstreifen, die in den Anhangstock eingelassen sind und mit Schlitzen in den Tastenhebeln korrespondieren. Die Tangenten sind aus dünnem Eisenblech gefertigt, oben breiter als unten, also durchaus mit "normalen" Clavichordtangenten vergleichbar.
Die Anlage des Clavichords ist bundfrei. Sechs der neun Eisensaiten sind noch vorhanden, die winzigen Eisenstimmwirbel sind komplett erhalten.
Augenfällig ist die Detailtreue, mit der dieses Miniaturodell gebaut worden ist. Die gewählten Materialien entsprechend weitgehend der zu dieser Zeit üblichen Instrumentenbaupraxis. Details wie etwa die Stimmwirbel, die Tangenten oder die Tastenführungen sind mit vergleichsweise hoher Präzision ausgeführt, offenbar mit dem Ziel, ein prinzipiell „spielbares“ Miniaturinstrument zu erhalten. Man darf davon ausgehen, dass der Erbauer sehr wohl Funktion und Bauweise „großer“ Clavichorde kannte und diese hier im "Kleinen" umsetzte. Während sich die äußere Gestaltung eher an Tafelklavieren der Zeit um 1820 orientiert, steht die clavichordtechnische Anlage dabei durchaus noch in der Clavichordtradition des späten 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts. Geht man also von einer Erbauung gegen Ende des ersten Viertels des 19. Jahrundert oder kurz danach aus, dann ist dieses kleine Puppenclavichord ein interessanter Beleg dafür, dass die Clavichordbautradition auch in dieser Zeit weiterlebte, und eine schöne Ergänzung einer Sammlung historischer Tasteninstrumente.
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